Wie ein alter Kojote unter einer Schar Pudel
Ein Denkmal für Johnny Cash möchte ich nicht errichten. Das haben andere schon getan und das können andere besser. Ich schreibe auch keine Hagiographie für “the couple”.
Seit meiner ersten Begegnung mit Johnny Cash in “the man comes around” hat mich diese Stimme begeistert. Beim Übersetzen von Songs habe ich seine Musik wieder angehört. Und die Umstände, unter denen er sein Spätwerk schaffen durfte, sind mir ans Herz gegangen. Im Internet habe ich Videos zu Johnny Cash gefunden, von denen ich drei auf dieser Seite verlinken möchte.
Das vorangestellte Bild von Johnny Cash ist aus dem booklet zu “unearthed”. Dass dieses Bild von Rick Rubin ausgewählt wurde, verrät etwas über die Beziehung zwischen beiden. Cash: “Rick hat etwas in mir gesehen, von dem ich schon gar nicht mehr wußte, dass es da ist”. Rubin schreibt: “Johnny Cash is the natural outlaw.” Als Rubin 1993 über einen Künstler nachdachte, der groß war, aber zu der Zeit nicht richtig große Platten machte, fiel ihm als Erster und als der Größte Johnny Cash ein. “Ein einzigartiger Charakter - von Natur aus.” Er paßte nicht in die gesellschaftlichen Normen. Er hatte diese dunkle Seite, die Rubin zuerst angezogen hat.
Nach einem Konzert in New York sagt Kris Kristofferson von Johnny Cash: “Er übertraf uns alle durch seine Gegenwart. Es ist, als ob man einen alten Kojoten* beobachtet, der durch eine Schar Pudel spaziert.” Die Sängerin Emmylou Harris: “Ich glaube, daß man das Wort Charisma erfunden hat, um zu beschreiben, was Johnny Cash hat.” Größe wird leicht erkannt, ist aber schwer zu beschreiben. Sie ist nicht mit Moral zu definieren. Der Sänger von “I walk the line” wollte immer das Gute. Er hat das nicht immer geschafft. “I don’t like it, but guess things happen that way.”
Aber Drogen, Alkohol, kaputte Stimme, verpaßte Auftritte und Schlimmeres änderten nichts an der Hochachtung für diesen Mann.
“Seine Ehrlichkeit” - “Einfach seine Präsenz” - “Was er auch tut, er ist immer Johnny Cash” - “Er ist ein absolutes Original” - “Country und Western? Na ja - bedeuten mir nichts, aber Johnny Cash - ich bin ein Riesenfan.”
Merle Haggard in einem Interview mit Marty Stuart, Jahre nach einem Gefängniskonzert von Cash (1969 / 2000): “Ich war fasziniert (mesmerized). Obwohl er heiser war, war er fähig, die Männer zu bannen, die meist keine Country-Fans waren. Selbst ohne seine Stimme hatte er die Fähigkeit zu führen (leadership ability), die mächtig war von dem Moment an, wo er auf der Bühne stand. Er bannte das gesammte Gefängnis. Ich weiß nicht, wie er das tat, aber er tat es. Er berührte ihre Herzen. Er sang auch spirituelle Songs. Er brachte Jesus Christus ins Bild. Er tat es in einer Weise, daß es dem rauhen, hartherzigen Sträfling nicht peinlich ankam. Kein Zeigefinger. Er wußte, wie er das macht. Die Leute hielten sich an ihm fest (latched onto him). Cash had God’s touch all over him.” (Begleitheft zu “Johnny Cash at San Quentin” (2000))
Bei einem Konzert am Armistice Day (Tag des Waffenstillstandes) sang Johnny Cash eine Version von Bob Dylans “Blowin’ in the wind” (Video 1). Er steht ganz allein auf der Bühne - einer grau angeleuchteten großen Drehbühne - ohne Gitarre. Mit einer Schwere, die seiner Natur eigen ist, in karger Poesie, erinnert er an die Gefallenen. Und: “We must keep the faith. We must believe that peace will come.”
Seine Stimme ist wie aus einem tiefen, dunklen Brunnen. In der surrealen Schau steht die Frage: Warum ist der Mensch hungrig nach Krieg - mit immer tödlicheren Waffen? - “The answer, my friend, is blown’ in the wind. The answer is blowin’ in the wind.”
Die Menschen in dem Theater mit weit ausladender Empore lassen sich zu stehenden Ovationen hinreißen. Kris Kristofferson: “He’s a poet, he’s a picker - he’s a prophet, he’s a preacher - he’s a pilgrim and a preacher - and a problem when he’s stoned.” - Auf das Video stieß ich zufällig im Internet. Ich dachte inständig: bitte, youtube, nehmt es mir nicht weg und schreibt dann: “in Deinem Land nicht mehr verfügbar - tut uns leid.”
Cash’s ruhige Würde und Ausstrahlung macht anschaubar das Video 2 “God bless Robert E. Lee”. Lee war Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Südstaaten während des Amerikanischen Bürgerkrieges. Gegen den Befehl des Präsidenten der Konföderation - Jefferson Davis - ergab sich der General mit seinen Truppen vorzeitig. “A day at Appamatox General Lee sat down and surrended to the yankees and Ulysses S. Grant.”
240.000 Tote sind genug! - Die einsame Entscheidung des Generals siehst Du den Sänger auf seinen Schultern tragen.
Das Video 3 “Song of the Patriot” zeigt, wie Johnny Cash mit Fleisch und Blut in seiner Musik ist. Das Instrument des Sängers ist sein Leib.
“Big Iron” ist ein Song auf “unearthed III” (Songtext und Übersetzung). Joe Strummer, der dabei war, als Cash den Song in Rubin`s Studio aufnahm, sagte: “He was really into the song, though he wasn’t on it.”
So geht die Geschichte: In der Stadt Agua Fria lebt ein Outlaw - Texas Red. Er hat einen Mord begangen. Viele Männer haben versucht, ihn zu fassen, und diese vielen Männer sind tot. Eines Tages reitet ein Ranger in die Stadt - ein gefällig aussehender (handsome) Ranger - mit einem schweren Eisen auf seiner Hüfte. Er ist gekommen, um Texas Red zu fangen - sei es lebendig, sei es tot. Der Kampf der beiden findet statt auf der Straße. Und die Leute hinter den Fenstern wissen, dieser gefällige Ranger ist dabei, seinem Tod zu nahen.
Vierzig Fuß sind noch zwischen ihnen, da stoppen sie ihr Spiel. Und über die Schnelligkeit des Rangers wird noch heute erzählt. Texas Red hatte noch nicht gespannt den Hahn, als die Kugel sauber ging. - Johnny Cash hat nicht gegen das Büßen müssen dieses Outlaws angesungen. Aber in dem ungleichen Kampf mit dem Ranger gibt er dem anderen Tragik.
Und auch eine gewisse Würde - etwas von seiner eigenen Würde. ”Starke Waffe, starke Waffe - als er versuchte, den Kampf mit dem Ranger mit dem schweren Eisen auf seiner Hüfte.” Sorry, ein Video hierzu aus Rubins Studio gibt es nicht.
Verweht im Wind (”Blowin’ in the wind”; Bob Dylan)
Wie viele Wege muß ein Mann gehen
Bevor du ihn nennst einen Mann
Wie viele Meere muß eine weiße Taube segeln
Bevor sie schläft im Sand
Ja wie viel Zeit müssen Kanonenkugeln fliegen
Bevor sie für immer verbannt sind
Die Antwort mein Freund verwehte im Wind
Die Antwort verweht im Wind.
Gott segne Robert E. Lee
(”God bless Robert E. Lee”; Album “Johnny 99″)
->Englischer Songtext
Der Wohnsitz wo der General gewöhnlich lebte ist abgebrannt
Baumwollfelder sind blau mit Shermans Truppen
Ich hörte einen Yankee sagen gestern ist Nashville gefallen
So bin ich auf dem Weg mich dem Kampf anzuschließen
General Lee mag meine Hilfe brauchen
Sieh weg sieh weg Dixie
ich möchte nicht daß sie sehen
Was sie antun meiner Dixie
Gott segne Robert E. Lee
Sherman brannte nieder Atlanta und die Flammen erhellten den Himmel
Alle von uns die es überlebten sahen Dixie sterben
Und an einem Tag bei Appamattox setzte sich General Lee
Und übergab an die Yankees und Ulysses S. Grant
Sieh weg sieh weg Dixie
ich möchte nicht daß sie sehen
Was sie antun meiner Dixie
Gott segne Robert E. Lee
Ich will nie aufhören dich zu lieben Dixie
bis sie mich in die Erde tun
Und die letzten Worte aus meinem Mund werden sein
Gott segne Robert E. Lee
->Englischer Songtext: Song of the Patriot
Foto: Booklet zu “unearthed”, S. 39
*coyote: Wildhund, Präriewolf