Wiederentdeckung

In einem „dinner theatre“ in Los Angeles gab Johnny Cash 1993 ein Konzert. „It was a fantastic show“, so Rick Rubin, der unter den Gästen saß. Er hatte bei Cash´ Manager um ein Gespräch mit dem Künstler nachgesucht. Die beiden trafen sich dann hinter der Bühne. – Cash war auf das Aussehen des jungen Mannes vorbereitet: zottiger langer Bart, zottiges langes Haar, gekleidet wie ein Hippie. – Der Alte hörte sich an, was der junge Mann von ihm wollte. „I would like record you“, sagte Rubin. „Record me“, lachte Cash, „what for?“

Johnny Cash war damals ohne Plattenvertrag. Die Country-Industrie in Nashville war auf Soft-Country umgestiegen. Columbia-Company hatte ihm nach achtundzwanzig Jahren den Vertrag gekündigt: zu alt, nicht mehr schön genug, so wenig freundlich, nicht lustig. Seine Songs waren ernst, düster. Sie erzählten von Sterben, Tod, von Verbrechen, Sühne und von Gott. „Ich sage, was ich zu sagen habe, ob ihr mir zuhört, ist eure Sache. Und ich spiele, was ich spielen will. Mir ist es egal, welcher Trend gerade unterwegs ist. Ich bin zu alt, um diesen oder jenen Scheiß mitzumachen.“ Cash war jetzt 61. Er wollte nicht auf Disneyland Saloon umsteigen.

Ohne Plattenvertrag, ohne Radiowerbung, ohne Sendezeiten sah er seine künstlerische Karriere als beendet an. Er gab nur noch Konzerte mit der Familie und mit Freunden für Leute, die ihn hören wollten.
“I would like record you”, wiederholte Rick Rubin. Cash lachte, er wußte, daß dieser junge Mann aus einer Country-fernen Musikszene kam und hielt das Interesse an seiner Musik für eine Laune. Rick Rubin war damals dreißig. Er war Gründer und Produzent von „American Recordings“ und hatte sein Label mit Rock- und Rap-Musikern aufgebaut. Cash wollte sich von dieser neuen Großstadtmusik nicht beeinflussen lassen. Außerdem hatte er keine Lust mehr, irgendwelchen Produzenten etwas vorzuspielen.

Wenn Rubin sich an dieses erste Treffen erinnert, sagt er: „Es war ein kurzes Treffen. Ich erinnere mich nicht, ob irgend etwas Bestimmtes gesagt wurde. Aber da war gleich eine besondere Beziehung zwischen uns - an immidiate, powerful connection – wie sonst mit keinem Künstler, mit dem ich zusammengearbeitet habe. Wir kommunizierten auf einer anderen Ebene, als die der Sprache.“ –

Als Rubin nach diesem Treffen nachts in sein Studio zurückkam, waren dort Tom Petty und die Heartbreakers bei der Arbeit. Rubin sagte, er habe einen Vorstoß gemacht für einen Plattenvertrag mit Johnny Cash. „Was meint ihr dazu?“ Tom Petty sei auf die Knie gefallen: „Gott, laß ihn unterzeichnen. Mach noch in dieser Nacht den Vertrag fest!“ Tom Petty sollte später Cash begleiten. Und wer anders als Petty wäre würdig gewesen, Cash letzte backing band zu leiten! –

Cash sah bald, daß Rubin ehrlich interessiert war und hartnäckig blieb, und daß er sich mit seiner Musik auskannte. Aber wie sollte die Zusammenarbeit praktisch aussehen? „Sie nehmen Ihre Gitarre und setzen sich vor ein Mikrofon und singen die Songs, die Sie lieben. Sie singen alles, was Sie wünschen, daß ich es aufnehme. Und dann finden wir auch Leute, die das gerne hören, und die das kaufen möchten. – Mann, Du bist wahrhaftig ein großer, laß uns davon etwas in Musik aufnehmen! Why don´t you give it a try?“
Cash erinnerte sich: „Rick war sehr zugewandt, sehr sanft im Sprechen, aber überzeugend darin, was er dachte und was er glaubte.“ „So I said `all right`, and so we did.“

1993 unterzeichnete Johnny Cash mit Rick Rubin den Vertrag, der bis zu seinem Lebensende im September 2003 bestehen bleiben sollte. Noch im Sommer 2003, schon vom Tod gezeichnet, sagte er: „Solange Rick an mich glaubt, solange mache ich weiter.“